Hybrides Arbeiten oder weshalb wir Mitarbeitende nicht zurück ins Büro zwingen sollten [German article]

I was recently invited to contribute an article to the alumni magazine of the Department of informatics (of the university of Zurich). In that article, I talk about challenges of hybrid work and give a few concrete pointers towards tackling them, by involving the team.

In einer Arbeitswelt die sich durch die Covid-Pandemie rasant verändert hat, stehen Unternehmen vor der Herausforderung ihre Arbeitsmodelle neu zu definieren. Immer öfters möchten sich Arbeitnehmende nicht mehr nach traditionellen Arbeitsformen richten, wie beispielsweise täglich von 9-5 im Büro zu arbeiten und immer öfters fordern sie flexiblere, hybride Arbeitsprozesse. Um diese effizient umzusetzen und schlussendlich sogar als Wettbewerbsvorteil für die Gewinnung und langfristige Bindung von Talenten zu nutzen, beschreibt dieser Artikel einige Gedankenanstösse basierend auf Forschung mit und Beratung von Schweizer Unternehmen.


Grosse Technologieunternehmen wie Apple und Microsoft haben in den letzten Jahren Milliarden in den Ausbau ihrer Hauptsitze investiert, nur um sie nun grösstenteils leer vorzufinden. Auch in der Schweiz lesen wir ähnliche Schlagzeilen, wie jene von Roche, die den Bau des geplanten höchsten Büroturms der Schweiz, dem Bau 3, verschoben hat um das Bürokonzept zu überdenken. Dies beruht meist nicht auf massiven Fehlkalkulationen jener Unternehmen. Da sich solche Projekte von der Planung bis zur Umsetzung oft über mehrere Jahre erstrecken, konnte die Covid-19-Pandemie innerhalb weniger Monate die Art und Weise wie Unternehmen ihre Büroräumlichkeiten nutzen, grundlegend umkrempeln. Viele Wissensarbeitende möchten nicht mehr täglich den Weg ins Büro auf sich nehmen. Trotzdem sollen diese Investitionen sinnvoll genutzt werden.

Hybrides Arbeiten ermöglicht Fokusarbeit zu Hause, Kollaboration im Büro

Zahlreiche wissenschaftliche Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass produktives Arbeiten im Home-Office unter gewissen Voraussetzungen möglich ist. Sind die technischen Grundvoraussetzungen wie sicherer Datenzugriff und stabile Internetverbindung gegeben und wird die Person nicht dauernd abgelenkt, kann die Produktivität mitunter sogar höher ausfallen, als bei der Arbeit im Büro, wo ständig Teamkolleg:innen stören, um Fragen zu stellen. Diese Studien haben jedoch auch gezeigt, dass Kollaboration mit digitalen Werkzeugen wie Microsoft Teams oder Slack zwar immer besser funktioniert, Face-to-Face-Meetings im Büro aber oft effizienter sind. Insbesondere zufällige Begegnungen an der Kaffeemaschine oder beim Mittagessen haben nachweislich positive Auswirkungen auf den Teamzusammenhalt, die Unternehmenskultur und das Bewusstsein für Probleme, Chancen und offene Fragen. Nur wenige Unternehmen schaffen es, langfristig erfolgreich “remote-only”, also komplett ohne Büro, zu arbeiten, da die Entwicklung eines guten Teamzusammenhalts, einer nachhaltigen Unternehmenskultur und einer gewissen Loyalität sehr schwierig ist. Tatsächlich muss die Entscheidung nicht zwischen “nur Büro” oder “nur Home-Office” sein, sondern es kann auch eine Kombination etablierter Arbeitsformen, also hybrides Arbeiten, genutzt werden.

So gelingt hybrides Arbeiten: Team-Autonomie fördern

Hybrides Arbeiten (Englisch: Hybrid Work) beschreibt eine Form der Arbeit, die zeitlich und örtlich unabhängig ist. Dabei verbringen Wissensarbeitende nicht mehr jeden Tag im Büro, sondern arbeiten teilweise auch im Home-Office oder remote. Wenn gut umgesetzt, können nicht nur Ressourcen für Büroräumlichkeiten eingespart werden, sondern es kann auch ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern entstehen. Insbesondere wenn die Zufriedenheit und Gesundheit der Mitarbeiter:innen und damit die Mitarbeiterbindung steigt. Um diese Vorteile für das eigene Unternehmen zu nutzen und hybrides Arbeiten erfolgreich zu etablieren, kann es notwendig sein, die eigene Unternehmenskultur in Bezug auf Autonomie, Eigenverantwortung und Zusammenarbeit zu überdenken.

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In verschiedenen Feldstudien die in internationalen Konzernen und Schweizer KMUs durchgeführt wurden konnte gezeigt werden, dass nachhaltig effiziente Teams sich durch eine überproportionale Autonomie und Selbstverantwortung auszeichnen. Das bedeutet nicht, dass es keine Regeln gibt, wer, wann und wo arbeitet. Vielmehr liegt es in der Verantwortung der einzelnen Teams, innerhalb eines gegebenen Rahmens ihre optimalen Arbeitsrhythmen zu finden. Beispielsweise kann ein Minimum von 2-3 Bürotagen und eine Überschneidung von 4 Arbeitsstunden (s.g. Kernarbeitszeiten) vorgeschrieben werden. Das Team nutzt dann die Freiheit und definiert zum Beispiel “Keine Meetings”-Tage, an denen sie von zu Hause aus möglichst fokussiert Fortschritte an ihren eigenen Aufgaben machen und die Arbeit zeitlich freier einteilen können: Beispielsweise frühmorgens, wenn sie sich am besten konzentrieren und dafür am Nachmittag vor Abschluss der Arbeit für zwei Stunden in der Sonne Sport treiben können.


Auch wenn einzelne Mitarbeiter:innen die Flexibilität zu ihren Gunsten (aus)nutzen, überwiegen laut den meisten befragten Unternehmen die Vorteile: Mitarbeiter:innen können Familie und Beruf besser vereinbaren, sind gesünder und fallen dadurch weniger aus, und sind insgesamt motivierter und produktiver.

Erwartungshaltungen team-weit definieren

Ein weiterer zentraler Aspekt ist, dass sich das Team über die gegenseitigen Erwartungshaltung, insbesondere in Bezug auf Reaktions- und Antwortzeiten einigt. Oft wird keine sofortige Antwort erwartet. Viele der Teams, die wir in unserer Arbeit bei FlowLabs beraten und begleiten, greifen in dringenden Fällen zum Telefon, senden eine Chat-Nachricht für Anfragen, die innerhalb eines halben Arbeitstages beantwortet werden sollen oder senden eine E-Mail wenn die Anfrage nicht zeitkritisch ist. Mit dieser einfachen Massnahme können Mitarbeitende regelmässig 2-3 Stunden fokussiert arbeiten, ohne ständig ihre E-Mails und Chats zu checken und ohne dass Teamkollegen zu lange blockiert sind, wenn sie auf eine Antwort warten.


Befragungen haben gezeigt, dass Mitarbeitende in Bezug auf Erwartungshaltungen oft Annahmen treffen, wie z.B. “meine Chefin beantwortet Anfragen oft auch noch spätabends, also wird wohl erwartet, dass ich auch bis spätabends antworte”. Ausgeruhte Mitarbeitende arbeiten jedoch in der verfügbaren Zeit meist effizienter und sind seltener krank. Deshalb lohnt es sich, Annahmen zu Erreichbarkeit und Antwortzeiten, insbesondere ausserhalb der Kernarbeitszeiten, team-intern zu klären.


Solche und weitere, relativ leicht umsetzbaren Massnahmen, fördern nachweislich die verfügbare Fokuszeit und damit Produktivität, ohne dass der Koordinationsaufwand stark steigt. Um das team-weite Bewusstsein über geplante Arbeit, offene Fragen und Blocker, sowie die Arbeitsrhythmen aktuell zu halten, empfiehlt sich die Orientierung an agilen Softwareentwicklungsmethoden. Scrum-Teams treffen sich beispielsweise jeden Morgen für 15 Minuten zum Scrum Daily, entweder hybrid oder online. Dabei fassen alle Teilnehmenden kurz zusammen, was sie gestern erreicht haben, welche Arbeit sie für heute geplant haben und wo möglicherweise Blockaden bestehen.

Und was passiert mit dem leeren Büro?

Der Trend zur hybriden Arbeit hat, wie bereits erwähnt, direkte Auswirkungen auf die Büroräumlichkeiten. Während früher die meisten Unternehmen fixe Arbeitsplätze angeboten haben, lohnt sich das wenig, wenn Mitarbeitende nur selten und unregelmässig ins Büro kommen. Hier bieten sich Flexdesk-Systeme an, bei denen Mitarbeitende entweder Plätze reservieren oder diese temporär nach dem Prinzip “first come, first served” nutzen können. Während Unternehmen wie Amazon, Ernst & Young (EY) und viele andere ihre Mitarbeitenden zurück ins Büro beordern, strebt Microsoft einen Kompromiss an: Mitarbeitende, die mindestens 60% ihrer Arbeitszeit im Büro verbringen behalten einen festen Arbeitsplatz, alle anderen nutzen einen Flexdesk.


Eine alternative Nutzung der Büroräumlichkeiten basiert auf “aktivitätsbasiertem Arbeiten”. Dabei nutzen Mitarbeitende je nach ihrer aktuellen Tätigkeit unterschiedliche Arbeitsumgebungen, wie beispielsweise Deep Work-Zonen für Fokusarbeit und offene, kreative Räume für Zusammenarbeit und Brainstorming. Allerdings lässt sich die Arbeit selten so klar in diese zwei Aktivitäten aufteilen. In der Praxis ändert sich die Fähigkeit zum fokussierten Arbeiten mehrmals täglich zwischen leichter und höherer Konzentration und kaum jemand möchte so regelmässig den Arbeitsplatz wechseln. Deshalb ist es oft praktikabler, die klassischen Büroräume für die Mehrheit der Arbeit beizubehalten und dafür genügend kleine, schalldichten Boxen anzubieten, welche entweder für Meetings oder Fokusarbeit genutzt werden können.
Schlussendlich können nicht genutzte Büroflächen zudem strategisch als “Shared Offices” untervermietet werden, beispielsweise an Startups und Jungunternehmen in derselben Branche. Dadurch wird der spontane Austausch gefördert, woraus sich neue Partnerschaften und Ideen entwickeln können, oft eine gute Grundlage für Innovation.


Autorenportrait
Dr. André Meyer ist Oberassistent im Human Aspects of Software Engineering Lab am Institut für Informatik und berät mit FlowLabs Firmen und Teams zu einer produktiven und nachhaltigen Umsetzung hybrider Arbeitsformen. In seiner Forschung untersucht er, wie Wissensarbeitende darin unterstützt werden können, eine bessere Balance zwischen Fokus- und Teamarbeit zu erreichen.
andre.meyer@flowlabs.ch